Wer den Friedhof Père Lachaise in Paris besucht, wird wohl unweigerlich Touristen mit Faltplänen – Ausschau haltend nach den Gräbern berühmter Persönlichkeiten – sehen. Dabei scheinbar die Schönheit dieses magischen Ortes „missachtend“. In ihrer Zielstrebigkeit die zahllos vorhandenen Details der Grabstätten weniger bekannter Verstorbener keines Blickes würdigend. Konsequent wird dem Grab von Jim Morrison – Sänger von „The Doors“ – nachgestöbert. Anschließend folgt die Suche nach der letzten Ruhestätte von Edith Piaf. Oder Honeré de Balzac. Mit Hilfe des Plans, der die Grabstellen der Namhaften zeigt, wird die Stelle, an der Frédéric Chopin begraben wurde, aufgespürt. Allerdings ohne dessen Herz. Dieses wurde auf seinen Wunsch entnommen und in Warschau beigesetzt. Auch Oscar Wilde zieht viele Besucher an, wie sein mit roten Kussmündern übersäter Grabstein zeigt.
Leise sprich, leis geh,
Störe sie nie,
Wachsen hört unterm Schnee
Maßliebchen sie.Alles ihr golden Haar
Rost nun zum Raub
Sie, die so lieblich war,
Moder und Staub!Lilienweiß, lilienzart,
Lebte sie Traum,
Daß sie zum Weibe ward,
Wußte sie kaum.Sargholz und schwerer Stein
Deckt sie nun zu,
Mich quält mein Herz allen.
Ihr wurde Ruh.Still! still! Was sollen ihr
Leider und Lieder;
All meine Welt liegt hier-
Wirf Erde nieder!“Oscar Wilde
Mir ist diese Jagd nach Berühmtheiten hingegen suspekt. Durchaus fällt mir bei meiner Wanderung über den Friedhof auch der eine oder andere berühmte Name auf, der dann ebenso Erinnerungen und Gedanken hervorruft. Jedoch wandle ich ohne bestimmtes Ziel über den Friedhof. Die Stille – die es durchaus an manchen Stellen gibt – genießend. Anfangs verläuft meine Wanderung noch systematisch, ehe mich jedoch die Fülle an Sehenswertem – durch den zunehmend ansteigenden Charakter des Friedhofs wird immer mehr sichtbar – und die teils chaotisch angelegten Wege zu einer vollkommen ungeordneten Ergründung veranlasst. Ich lasse mich – die geheimnisvolle Atmosphäre aufsaugend – treiben und „springe“ zwischen den Grabfeldern hin und her. Während ich über so manches schmückende Symbol sinniere, klickt die Kamera unaufhaltsam. Das Entdecken und Aufspüren von geflügelten Totenköpfen, ägyptischen Zeichen oder gespensterhaften Reliefs ist spannender, als die Jagd nach den Grabstellen bekannter Persönlichkeiten. Dazwischen schaue ich in die lebendigen Gesichter steinerner Engel, an denen der Lauf der Zeit genagt hat.
Auf dem Père Lachaise, einem der weltweit wohl besucherreichsten Friedhöfe, fanden erstmalig 1804 Beisetzungen statt. Doch anfangs empfand man eine Beerdigung auf diesem Totenacker als „unattraktiv“. Erst nachdem die sterblichen Überreste von La Fontaine, Molière, Beaumarchais und Abaelard auf den, damals in einem Außenbezirk liegenden Friedhof umgebettet wurden, galt eine Ruhestätte an dieser Stelle als große Ehre.
Normalerweise wird auf einem Friedhof nicht gestorben. Doch hier ist – besser gesagt: war – es anders. 1871 sollen auf dem Père Lachaise Aktive des Aufstandes der Pariser Kommune hingerichtet worden sein. Davon ist heute natürlich nichts mehr zu spüren. Auf dem Hügel sitzen die Einheimischen und blicken auf Paris hinab. Der Eiffelturm am Horizont. Und eine Kapelle im Rücken.
Kurz vor der Schließung gegen 18 Uhr ist nur ein Teil des Friedhofs geschafft. Ein Bediensteter macht seine Runde und weist uns den Weg zum einzig noch geöffneten Ausgang. So eilen wir diesem – einigermaßen zielbewusst – entgegen. Gut gesicherte Mauern würden ein späteres „Entkommen“ unmöglich machen. Und obwohl Füße und Rücken gleichermaßen ein Ende verlangen, mag ich mich nicht so recht an die frühen Schließzeiten ausländischer Friedhöfe gewöhnen.
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