Schier endlos ziehen sich Wege und Straßen über das Gelände dieser Totenstadt im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf. Der mit 391 Hektar größte Parkfriedhof der Welt bietet seinen Besuchern eine Vielfalt wie kaum ein anderer Begräbnisplatz, den ich bisher besucht habe. Auf einem Straßennetz mit einer Länge von 17 Kilometern verkehren zwei Buslinien, die 22 Haltestellen ansteuern. Fußgänger können auf Wegen mit einer Gesamtlänge von unglaublichen 80 Kilometern auf Entdeckungsreise gehen. Wer nun glaubt, dass der Autoverkehr dem Friedhof eine gewisse Unruhe aufzwingen könnte, der irrt. Uralter Baumbestand, wuchtige Rhododendron-Hügel, ausladende Koniferen und unzählige Exoten bilden schon nach einigen Schritten einen parkähnlichen Wald. Überall flattern die verschiedensten Vertreter der Vogelwelt umher und übertönen mit ihrem Geschwätz die entfernten Geräusche der Busse und Automobile.
Nicht zum ersten Mal versuche ich das riesige, 1877 eröffnete Areal, auf dem über 30.000 Bäume und über 2.000 Bänke stehen, zu erkunden. Und auch diesmal bin ich überrascht, viel Neues zu entdecken. 17 Teiche, 13 Kapellen und 21 Mausoleen befinden sich auf dem Gelände. Alle habe ich noch nicht gesehen.
Aber auch so ertrinken die Augen in dieser Fülle von sehenswerten Gebäuden, Skulpturen, Anlagen. Bombastische Mausoleen mit geheimnisvollen Details geschmückt. Skulpturen, die schon einmal einen Schauder hervorrufen. Besonders beeindruckend die Begegnung mit dem „Schicksal“, einer Skulptur von Hugo Lederer aus dem Jahr 1905. Düster und bedrohlich wirkt dieses Bildnis. Eine finster dreinblickende, barbusige Dame zerrt eine Frau und einen Mann an den Haaren neben sich her. Anschaulicher lässt sich die Verzweiflung über die Vergänglichkeit wohl kaum darstellen. Seinem Schicksal entgeht niemand? An anderen Stellen posieren mehr oder weniger bekleidete Damen – seltener Herren – sinnlich-erotisch, sogar lasziv. Mit ihren lebendigen Blicken verfolgen sie die Bewegungen der Besucher.