In Zukunft werden meine Streifzüge über europäische Friedhöfe in unregelmäßigen Abständen in meinem Online-Magazin „T-Arts“ nachzulesen sein. Den Anfang dieser Reihe macht die Erkundung des größten Kopenhagener Friedhofs, dem Assistens Kirkegård.
In Zukunft werden meine Streifzüge über europäische Friedhöfe in unregelmäßigen Abständen in meinem Online-Magazin „T-Arts“ nachzulesen sein. Den Anfang dieser Reihe macht die Erkundung des größten Kopenhagener Friedhofs, dem Assistens Kirkegård.
Im Jahr 1711 erreichte eine Pestepidemie Kopenhagen, in deren Folge 23.000 Einwohner ihr Leben verloren. Um den vielen Leichen Herr zu werden, legte die Stadtverwaltung in den Außenbezirken sechs neue Friedhöfe an. Allerdings reichten auch diese nicht aus. Auf dem Begräbnisplatz der Holmens Kirche wurden bis zu fünf Särge übereinander gestapelt und nur von wenig Erde bedeckt. Soldaten feuerten Gewehrsalven ab, um mittels Schießpulver den Verwesungsgeruch zu übertünchen. Die Realisierung eines Totenackers außerhalb der Stadtmauern erfolgte dennoch erst ein knappes halbes Jahrhundert später. Dieser sollte vor allen Dingen der Ausbreitung von Seuchen vorbeugen. Ursprünglich zählte der Assistenzfriedhof als Begräbnisstätte der Armen. Nachdem der astronomische Schriftsteller und erste Sekretär im Kriegsamt Johan Samuel Augustin 1785 auf eigenen Wunsch an jener Stelle das letzte Geleit erhielt, bestatteten zunehmend führende Persönlichkeiten und wohlhabende Bürger der dänischen Hauptstadt ihre dahingeschiedenen Verwandten auf diesem Friedhof.
Eine schaurige Geschichte berichtet von Dieben, die 1798 das Grab der jungen Giertrud Birgitte Bodenhoff plünderten. Als die Räuber einen Tag nach der Beerdigung das Grab öffneten, weckten sie die scheintote Frau. Doch statt ihr zu helfen, erwürgten sie die 19-jährige und raubten ihren Schmuck. Wer mag sich im ersten Moment wohl mehr erschrocken haben? Indes stellt sich die Frage: Mythos oder Wahrheit? 1950 ließ der Nachfahre Viggo Starcke das Grab öffnen. Er fand das Skelett der Verstorbenen in einer verdrehten Position vor. Weiterhin erkannte er, dass der mit seiner Ahnin beigesetzte Schmuck verschwunden war. So sah sich Viggo Starcke bestätigt: Man hatte Giertrud Birgitte Bodenhoff lebendig zur letzten Ruhe gebettet und im eigenen Grab ermordet.
Im Laufe der Jahre gewann der Friedhof nicht nur aus stadtgeschichtlicher und kultureller Sicht an Bedeutung, sondern wurde ferner zu einem beliebten Ausflugsziel und Picknickplatz.
Die Nacht vor meinem Besuch war regnerisch. Doch der Morgen begrüßte mich nur noch tröpfelnd und ehe sich der Waldzugang pünktlich öffnete, hatten die Wolken ein Einsehen.
Der Waldfriedhof Oberrad präsentierte sich als kleines Naturparadies. Das frenetische Konzert hunderter kleiner gefiederter Sänger übertönte mit Leichtigkeit die schwachen Klänge der wenigen, direkt am Friedhof vorbeieilenden Fahrzeuge. Hohe Bäume, viele Sträucher und dieses Trillern, Zwitschern, Piepsen… zunächst waren keine friedhofstypischen Elemente zu erkennen, allerdings verwandelte die in der Luft schwebende Feuchtigkeit die grüne Umgebung in ein besonderes, fast mystisches Ambiente.
Nach einigen Schritten und der Erkenntnis, diese melancholische Stimmung vorerst mit keinen weiteren Besuchern teilen zu müssen, tauchte ein Zaun mit einem Tor auf: eine Ruhestätte für Gefallene des 2. Weltkrieges. Eine beeindruckende, überlebensgroße Skulptur symbolisierte mahnend den Schmerz. Von den hohen Bäumen herabfallendes Wasser und die daraus entstehenden kleinen glitzernden Tropfen milderten das bedrückende Erscheinungsbild.
Nachdenkliches hinter mir lassend wendete ich mich den zwischen Buschwerk gerade so sichtbar werdenden Grabreihen zu. Nicht ohne ein Hinweisschild der Friedhofsverwaltung mit einem Lächeln zu bedenken: Besucher sollen bitte Verständnis für die Wildtiere des Friedhofs haben. (mehr …)
Nach einer regnerischen Nacht ist die Luft klar und frisch. Keine weiteren Besucher hat es an diesem Vormittag auf den kleinen Parkplatz verschlagen, neben dem ein handgeschriebenes Schild in drei Sprachen auf eine „Attraktion“ abseits der großen Hauptstraßen hinweist. Ein Weg führt in den Wald. Nach wenigen Metern stehen die Reste alter Karosserien Spalier. Dunstiges Morgenlicht hüllt die ausgeschlachteten Fahrzeuge in ein sanftes Licht. Nur das leise Trommeln der von den Bäumen auf das Blech der Autodächer herabfallenden Tropfen ist zu vernehmen. Ansonsten herrscht eine angenehme Stille. Um eine alte, verwüstete Werkstatt gruppieren sich weitere Schrottautos. Einige Wagen erinnern an alte amerikanische Gangsterfilme, als Ganoven mit elegant sitzenden Hüten und Maschinengewehren bewaffnet auf den Trittbrettern außen an den Fahrzeugen standen. Und sogar ein großer Bus hat hier in sumpfigem Gebiet seine letzte Ruhestätte gefunden. Aufgebockt, als könnte jeden Augenblick der Mechaniker mit einem Ersatzteil um die Ecke kommen. Doch der mittlerweile verstorbene Åke Danielsson hat sein Zuhause bereits vor über zwei Jahrzehnten verlassen. Fast gespenstisch erscheinen so die blechernen Hüllen, mit denen früher über Schwedens Straßen gefahren wurde. Zur Arbeit, zum Sport oder ins Kino. Autos, in denen gelacht und geweint wurde. Ihrer Scheiben und Reifen beraubt, wehren sie sich vergeblich gegen den Verfall und die Vereinnahmung durch die Natur. Auf zerbröselnden Lederpolstern wachsen Stauden und Farne. Einige Karosserien ähneln so einem kleinen Gewächshaus.
Anders als in der Schweiz (Gürbetal) und in Belgien (Chatillon), wo sehenswerte Autofriedhöfe vollständig geräumt wurden, haben sich in Südschweden die Befürworter durchgesetzt. Bis 2050 dürfen die Autowracks bleiben. Sozusagen als kulturelles Erbe. Für manche vielleicht auch als Mahnmal für die Wegwerfmentalität unserer Gesellschaft. Doch die Kraft von Regen und Sonne, Frost und Hitze und vor allen die intensiven Bemühungen von Flechten, Moosen und Pilzen sind beträchtlich. Es ist anzunehmen, dass in fast vier Jahrzehnten nicht mehr viele sichtbare Spuren vorhanden sein werden. (mehr …)
Eine Fülle an Skulpturen auf dem Frankfurter Hauptfriedhof sticht schnell ins Auge. Einige der steinernen „Beobachter“ haben eine Restaurierung erfahren und präsentieren sich strahlend und makellos. Auffällig ist aber auch die Menge an kopflosen Figuren. Als wäre eine dunkle Gestalt voller Zerstörungswut über den Friedhof gezogen. Den Griff eines großen Schwertes mit beiden Händen fest umklammernd. Wieder und wieder ausholend, um die schwere Klinge auf die Hälse der steinernen Opfer niedersausen zu lassen. Manche Bruchstelle erscheint frisch. Doch der Blick auf den Boden zeigt keine Köpfe. Womöglich sammelt der Schwertschwingende die Häupter aus Stein. Doch viele Figuren hat der Henker – auch „Lauf der Zeit“ genannt – verschont. So kann ich mich neben Bildwerkskunst aus „Massenproduktion“ wiederholt an individuell Gestaltetem erfreuen.
Melancholisch dreinblickende Schönheiten, Mütter mit ihren Kindern, musizierende Künstler. Und immer wieder Engel. Die überwiegend weiblichen Engel sind besonders fein in Stein modelliert. Die angedeuteten Schleier und Gewänder enthüllen mehr, als sie verdecken. Schön, elegant und erotisch. Lockend, lasziv. Manchmal auch strafend. Der berühmte Engel von Mondeverde ist nicht nur in Genua zu sehen. Auch in Frankfurt beeindruckt eine gewisse Distanziertheit die Besucher. Der Blick entrückt, die Arme vor dem Körper verschränkt, in einer Hand das Horn des Jüngsten Gerichts haltend.
An einem der Nebeneingänge lockt ein Arkadengang. So fühle ich mich ein weiteres Mal an Genua erinnert. Allerdings drängen sich in Italien die Skulpturen in zahlreichen Gängen. Doch auch in Frankfurt fesselt der lange Blick entlang der Bögen, die durch das seitlich einfallende Tageslicht wie auf einem Gemälde alter italienischer Meister nachgezeichnet werden. Hier befinden sich Familiengruften mit einigen schönen Statuen. Manche sind restauriert, manche zerbrochen, andere befinden sich womöglich im „Schönheitssalon“ oder wurden komplett zerstört. Etwas zum Schmunzeln brachte mich das „eiskalte Händchen“. Eine männliche Skulptur – gestützt von einem kopflosen Engel – wurde eines Stückchens Arm beraubt. So hält sich scheinbar eine einsame Hand an einer Erhöhung fest. Das Bild einer über den Boden sausenden abgetrennten Hand taucht unweigerlich vor dem geistigen Auge auf. Addams Family lässt grüßen. (mehr …)