Die Nacht vor meinem Besuch war regnerisch. Doch der Morgen begrüßte mich nur noch tröpfelnd und ehe sich der Waldzugang pünktlich öffnete, hatten die Wolken ein Einsehen.
Der Waldfriedhof Oberrad präsentierte sich als kleines Naturparadies. Das frenetische Konzert hunderter kleiner gefiederter Sänger übertönte mit Leichtigkeit die schwachen Klänge der wenigen, direkt am Friedhof vorbeieilenden Fahrzeuge. Hohe Bäume, viele Sträucher und dieses Trillern, Zwitschern, Piepsen… zunächst waren keine friedhofstypischen Elemente zu erkennen, allerdings verwandelte die in der Luft schwebende Feuchtigkeit die grüne Umgebung in ein besonderes, fast mystisches Ambiente.
Nach einigen Schritten und der Erkenntnis, diese melancholische Stimmung vorerst mit keinen weiteren Besuchern teilen zu müssen, tauchte ein Zaun mit einem Tor auf: eine Ruhestätte für Gefallene des 2. Weltkrieges. Eine beeindruckende, überlebensgroße Skulptur symbolisierte mahnend den Schmerz. Von den hohen Bäumen herabfallendes Wasser und die daraus entstehenden kleinen glitzernden Tropfen milderten das bedrückende Erscheinungsbild.
Nachdenkliches hinter mir lassend wendete ich mich den zwischen Buschwerk gerade so sichtbar werdenden Grabreihen zu. Nicht ohne ein Hinweisschild der Friedhofsverwaltung mit einem Lächeln zu bedenken: Besucher sollen bitte Verständnis für die Wildtiere des Friedhofs haben.
Das überwältigende Grün mit den funkelnden Tropfen und die Menschenleere am frühen Morgen waren eine Erholung für die Seele. Mein Blick streifte einige interessante Skulpturen. Doch der stehende, steinerne Mantel auf dem Grab von Valentin Senger, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, ließ mich länger verweilen. Ein leerer Mantel – symbolisch für die leere Hülle, die zurückbleibt?
Die sich langsam durch Wolken und Baumkronen kämpfenden Sonnenstrahlen lockten Schnecken in allen Farben und Größen hervor. Selbst der Weg auf die Krone eines Grabsteines war ihnen nicht zu weit.
Und plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Unter tief hängenden Zweigen schienen mich mehrere Augenpaare zu mustern. Zwei Tierskulpturen – lebensgroß. Eine perfekte bildhauerische Arbeit, die sich hier im Dunkeln versteckte. Doch als ich die Kamera zückte, bewegten sich die bisher regungslosen Körper schlagartig. Die beiden Rehe, die mitnichten aus Stein waren, sprangen hinaus auf eine Lichtung, wo sie sich noch einige Male umblickten, ehe sie auf der gegenüberliegenden Seite wieder verschwanden. Ihren Ruheplatz verließen sie wohl äußerst ungern.
Auf dem Weg zum Ausgang entdecke ich einige einfache Holzkreuze mit angehefteten Namensbändern. Ob die letzten Jahre so einsam und arm waren, wie diese Grabgestaltung es vermuten lässt? Doch ob die Grabstätte nun mit einer Marmorstatue geschmückt ist oder nur ein einfaches Kreuz auf den Verstorbenen hindeutet – letztendlich sind wir im Tode alle gleich.
6 Kommentare
Definitiv ein Friedhof, auf den ich auch noch „muss“. Der Mantel hat es mir angetan, was für ein seltenes Grabmal, gute Idee. Ebenso Dein Bild davon und mir fehlen auch schon fast die Worte für das erste Bild mit der Hand. Perfekt! Grandios! Das kann man sich schon in groß an die Wand hängen…
Liebe Grüße aus Mainz!
Solch lobenden Worte lese ich natürlich außerordentlich gerne, sind sie doch eine überaus schöne Bestätigung für mein fotografisches Schaffen. Danke!
Der Mantel hatte es mir auch angetan und war der Hauptgrund, diesen Friedhof zu besuchen.
Hallo Marcus,
dass es hier in Frankfurt doch so ein ästhetisch schöner Friedhof gibt, war mir gar nicht bewusst. Den werde ich wohl auf alle besuchen und den schönen Mantel bewundern.
LG BlackRose
@BlackRose: Es freut mich, dass mein Beitrag Dich zu einem Besuch animieren konnte. Ich wünsche Dir viel Vergnügen. Vielleicht magst Du an dieser Stelle Deine Eindrücke wiedergeben.
Ja, der Mantel! Valentin Senger. Neulich traf ich seine Tochter zufällig am Grab. Der Mantel stehe symbolisch für das Geschehen an der Rampe, der Selektion in den Konzentrationslagern. Die Skulptur ist etwas löchrig, große Hitze und Feuchtigkeit machen die äußere Schicht brüchig. Alles vergänglich, vielleicht gibt es ja auch bald ein fachmännisches „Pflaster“ drauf.
Danke für den Kommentar und den interessanten Hinweis auf die mir bis dato unbekannte Symbolik.