Aufgrund eines suboptimalen Zeitmanagements trafen wir am Abend des 10. März 2011 im Berliner K17 erst ein, als „Psyche“ bereits für Stimmung sorgten. Die Halle war gut gefüllt und somit mussten wir mit einem Platz hinter zwei dauertratschenden Typen unweit der Bühne vorlieb nehmen. Trotz dieses vor uns stattfindenden unablässigen wechselseitigen Oralausstoßes, welcher jeder klischeehaften weiblichen Gesprächsrunde bei Kaffee und Kuchen zur Konkurrenz gereicht hätte, genossen wir die verbleibende Zeit. Melancholischer New Wave der Extraklasse. Zentrales Merkmal hierbei die angenehme Stimme von Sänger und Kreativkopf Darin Huss, der es wie nur wenige andere schafft, einem Joy-Division-Klassiker (Disorder) die nötige Atmosphäre zu verleihen. Einfach nur herrlich und leider viel zu schnell vorbei.
Während der Umbaupause lichteten sich die Reihen nur kurzzeitig, ehe sich der Raum vollständig füllte. Mittlerweile seit 1978 (!) sind die „alten“ Herren Gabi Delgado-López (52) und Robert Görl (55) mit einigen Unterbrechungen, in denen man sich anderen Dingen widmete, unter dem Namen „Deutsch Amerikanische Freundschaft“ (kurz: DAF) musikalisch tätig. Von Altersmüdigkeit kann aber absolut keine Rede sein. Im Gegenteil: Schon nach dem Erklingen der ersten Töne kochte der Saal. Pogo war angesagt. Die Tratschrunde wurde auseinander gesprengt. Heftig, heftig, heftig. Leider war der Raum so voll, dass sich die nichtpogende Masse an den Seiten ähnlich wie Sardinen in der Dose beim Transport fühlen mussten. Fast zwangsläufig schweiften meine Gedanken ab. Im japanischen Personennahverkehr gibt es doch behandschuhte Bedienste, die mit gewissem Druck dafür sorgen, dass alle Fahrgäste in die jeweilige Bahn passen… „Der Mussolini“ riss mich aus meinen Gedanken. Dieser Titel sorgte noch einmal für eine Vergrößerung der wild springenden Masse. Gerne wäre ich meinem persönlichen Bewegungsdrang entspannter und vor allen Dingen individueller nachgekommen. Doch schon schweiften meine Gedanken wieder. Zurück in die 80er, als in der Diskothek um die Ecke D.A.F. aus der Konserve für wild pogende Jugendliche sorgte. Ein zwischen allerlei seichter Popmusik eine willkommene Abwechslung.
Und tanz den Mussolini,
Tanz den Kommunismus,
Und jetzt den Adolf Hitler,
Und jetzt den Jesus Christus.“
Neben der Reduktion der musikalischen Mittel auf das Wesentliche, neuartigen Synthesizerklängen, monotonem Sprechgesang war die Provokation stillprägend. Doch wer gewillt zum Nachdenken war, fand viel Wahrheit in den knappen Texten der Deutsch Amerikanischen Freundschaft. Aber zurück ins K17. Mit einem vergnüglichen Grinsen im Gesicht verfolgte Sänger Gabi Delgado-López das Treiben vor der Bühne. Die Titelauswahl schien nur aus Klassikern zu bestehen. „Verschwende Deine Jugend“, „Alle gegen alle“, „Als wär´s das letzte Mal“, „Der Räuber und der Prinz“… und als Zugabe sorgte „Der Mussolini“ ein zweites Mal für große Begeisterung. Ebenso wie der Song „Kebabträume“, mit welchem Delgado-López schon 1979 die deutsche Angst der Überfremdung thematisierte (damals wurde das Stück unter dem Titel „Militürk“ von der Düsseldorfer Punkband „Mittagspause“ veröffentlicht):
Kebabträume in der Mauerstadt,
Türk-Kültür hinter Stacheldraht,
Neu-Izmir in der DDR,
Atatürk der neue Herr.
Milliyet für die Sowjetunion,
in jeder Imbissstube ein Spion,
im ZK Agent aus Türkei,
Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!“
Auch das Konzert hatte ein Ende. Zahlreiche schweißgebadete Menschen – der eine oder andere mit kleinen Blessuren – strömten in die windige Berliner Nacht hinaus…
Mein Wunsch für das nächste DAF-Konzert: Eine größere Halle mit einer gewissen Pufferzone, um dem subjektiven Drang nach rhythmischer Bewegung eine Chance zu geben.
Eine Frage bleibt abschließend aber ungeklärt: Warum geht man zu einem Konzert, um dort unaufhörlich Gespräche zu führen?
2 Comments
Ein schöner Artikel zu einem guten Konzertabend.
Zum Them Pogo: Es scheint am K17 zu liegen, auch beim letzten Alien Sex Fiend Konzert im September 2010 sorgten die wild pogende Masse bei mir für einige blaue Flecken, selbst wenn man „nur“ im Randbereich steht, oder versucht den Platz in der ersten Reihe zu halten. Letzteres gelang mir sogar bei DAF wieder, wenn auch nur am rechten Rand der ersten Reihe…
Mit einer pogenden Menge habe ich grundsätzlich kein Problem. Früher hatte ich an dieser wilden Ausgelassenheit auch meinen Spaß. Mittlerweile brauche ich das aber nicht mehr und halte gerne etwas Abstand. Was aber leider kaum möglich ist, wenn der Raum voll ist. Spontan erinnert mich dies an ein sich in einer komplett gefüllten Flasche ausdehnendes Gas. Keine wirklich optimale Konstellation 😉