Sommer – Reisezeit. Das Fernweh nimmt zu. Und ich schwelge in Erinnerungen. Vor einigen Jahren hat mich die Sehnsucht nach einsamen und spektakulären Landschaften zum ersten Mal nach Norwegen geführt. Die Begeisterung für dieses Land soll der folgende, damals entstandene Text wiederspiegeln:
Norwegen präsentiert sich selten als Postkarten-Idylle. Dieses skandinavische Land ist nicht einfach das typische und irgendwie auch langweilige Ansichtskartenmotiv mit leuchtend blauem Himmel und „aufgeräumter“ Landschaft. Norwegen ist mehr. Gelassen. Beeindruckend. Atemberaubend. Ein berühmtes, sehr frei übersetztes Zitat von Konfuzius trifft auf Norwegen zu, wie auf kaum ein anderes Land: „Der Weg ist das Ziel.“ Nach jedem Tunnel, nach jeder Kurve, jeder Kuppe ergaben sich neue, intensive Ausblicke. Auf einer Fahrt von Süden nach Norden und zurück eröffnen sich dem Reisenden eine unglaubliche Vielfalt an Farben und Formen und unzählige unvergessliche Erlebnisse.
Wasser spielt in der norwegischen Natur eine Hauptrolle. Es begegnet dem Besucher in allen erdenklichen „Formen“ und Aggregatszuständen. Durch tiefe Schluchten fahrend begleiten den Reisenden wilde Flüsse. Von den steilen Felswänden stürzen unzählige Wasserfälle eindrucksvoll in die Tiefe. Wie feine Adern durchziehen sie das Grau und Grün der Felsen und Berge. Bäche, die sich in reißende Ströme mit gefährlichen Verwirbelungen und weißen Schaumkronen verwandeln. Felder und Wälder, die scheinbar auf bzw. in Seen wachsen. Fjorde, die wie Spiegel wirken. Ruhig liegen sie vor dem Betrachter. Kein Kräuseln der Wasseroberfläche, keine Welle stört dieses perfekte Bild. Bedrohlich dunkle Wolken bleiben an den die Fjorde umgebenden Bergen hängen, um anschließend die Landschaft vermeintlich zu verschlingen. Aus den stillen Wassern steigt Nebel empor. Die Welt scheint in Minutenschnelle zu verschwinden. Ein beängstigendes und zugleich magisch anziehendes und nicht alltägliches Schauspiel. In etwas höheren Lagen bleiben auch im Sommer Begegnungen mit meterdicken Schneeresten und sogar Eis neben grünem Bewuchs nicht aus.
Ebenso wie das Wasser gehören Tunnel zum allgemeinen Erscheinungsbild Norwegens. Man kann behaupten, dass manche dieser zahllosen schwarzen Röhren an eine Geisterbahn oder auch an einen Bergwerksstollen erinnert. Der sichtbare grobe Fels, nur stellenweise nachträglich mit Schutzabdeckungen gesichert in Verbindung mit vereinzelt am schmalen Straßenrand herumliegenden Gesteinsbrocken gestalten eine Tunnelfahrt schnell zu einem aufregenden Abenteuer – zumindest für den einen oder anderen „verwöhnten“ Mitteleuropäer. In Norwegen findet man auch den längsten Straßentunnel der Welt. Stolze 24,6 Kilometer muss man bei der Durchfahrt des Laerdal-Tunnel hinter sich bringen. Um die nach mehreren Kilometern in der Dunkelheit düster gewordene Seele aufzuhellen, ist dieser mit drei großen, blau erleuchteten Grotten ausgestattet. Ein Aha-Erlebnis der besonderen Art. In anderen Röhren hingegen gibt es nicht einmal Licht. Bangemachen gilt hier aber genauso wenig.
Ein weiterer Höhepunkt: Norwegens Wälder. Ein dunkler schmaler Weg, welcher durch einen dichten Wald den Berg hinauf führt, wird zu einer tiefen vom herabstürzenden Regenwasser ausgefressenen Rinne. Glitschige Steine erschweren den Aufstieg. Auf einer lichten Stelle am Wegesrand landet ein pechschwarzer Rabe und beäugt die Wanderer. Ein Gefühl, dass die weiten Äste der Bäume nur kurzfristig einen Durchgang freigeben, um sich sofort nach einem wieder zu schließen, verursacht Gänsehaut. Sind hier Trolle und Elfen unterwegs? Wundern würde es mich jedenfalls nicht. Es gibt aber auch weniger mystische Wälder. Trotzdem faszinierend. Wälder, in denen man sich scheinbar wochenlang von diversen Beeren ernähren könnte. Himbeeren. Walderdbeeren. Und vor allen Dingen Heidelbeeren. Millionen Heidelbeeren. Komplette Waldböden sind davon bedeckt. Lecker.
Sicherlich ist der Prekestolen eines der bekanntesten touristischen Ziele im Südwesten Norwegens. Obwohl vom stark frequentierten Parkplatz aus erst noch eine zweieinhalbstündige Wanderung über Stock und Stein, Wasser und Hochmoore vor dem interessierten und gespannten Urlauber liegt, machen sich ganze Völkerscharen auf den Weg zu diesem berühmten Aussichtspunkt. Mit der norwegischen Stille und Einsamkeit ist es hier also erst einmal vorbei. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird am Ziel angekommen mit einer herrlichen Aussicht auf die Fjordlandschaft und vor allen Dingen mit einem außergewöhnlichen Blick in die Tiefe belohnt: Ungesichert kann man über 600 Meter senkrecht nach unten auf das türkis-grüne Wasser des Fjords blicken. Geländer gibt es nicht. So robben die einen auf dem Bauch liegend an den Rand, andere bleiben „tapfer“ stehen oder lassen sitzend sogar die Beine über dem Abgrund baumeln. Aber auch ohne diese Mutproben schlägt das Herz einige Takte schneller…
„Highlights“ gibt es in diesem Land fast zuhauf. An jeder Ecke „lauern“ sie. Steile ungesicherte Felsvorsprünge, farbenprächtige Blüten und Beeren am Wegesrand, tosende Wasserfälle, abenteuerliche Straßen und einsame Strecken – Nervenkitzel und Entspannung wechseln sich ab. Jeder Tag bringt ein neues atemberaubendes Erlebnis.
Wie sagte Goethe einst: „Venedig sehen und sterben“. Ich möchte dies einfach einmal „umdichten“: „Norwegen sehen und wiederkehren“.
Fortsetzung folgt…
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