Oswald Henke & Christian von Aster
Das Zentrum, Bayreuth, 31.05.2013
Ein apokalyptisch anmutendes Wetterszenario erwartete mich, als ich das Haus verließ. Tief hängende, sich düster auftürmende Wolken drohten Landschaft, Häuser, Menschen zu verschlingen. Sintflutartig vereinnahmte das unaufhörlich vom Himmel stürzende Wasser Felder und Wiesen. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um sich auf den Weg zu einer Lesung ins etwa 60 Kilometer entfernte Bayreuth zu machen. Doch die Asphaltwege waren frei. Noch jedenfalls. Per Zufallsauswahl spielte der MP3-Player ein Lied von Goethes Erben. „So schwarz – so leer – ganz still…“ rezitierte Oswald Henke, ehe er von einer Verkehrsdurchsage unterbrochen wurde. Ein Unfall auf dem anvisierten Streckenabschnitt ließ Böses ahnen. Die Details der Meldung klangen jedoch beruhigend. Zumindest für mich und meinen Weg. Auf der Gegenfahrbahn sind sich zwei Fahrzeuge zu nahe gekommen. Kurz darauf jedoch folgte der zweite Schreck. Blau flackerndes Licht am Horizont. Die Warnleuchten der Vorausfahrenden zwinkerten nervös im Gleichklang gelblich-orange. Die Geschwindigkeit drosselnd hoffte ich, genug Zeit eingeplant zu haben. Einige Augenblicke später erlosch das Blaulicht und die Fahrt ging ungehindert fort. Die Regenwand schien ich mittlerweile hinter mir gelassen zu haben. Trockenen Fußes erreichte ich die Einrichtung „Das Zentrum“. Dank einer sympathischen Gesprächspartnerin verging die Zeit bis zum offiziellen Teil des Abends wie im Flug.
Mit Vorschussbeifall bedacht begrüßte Oswald Henke das Publikum und stellte seinen Gast – Christian von Aster – vor. Nun begann ein makabres Kammerspiel. Christian von Aster stellte J. W. Asdorf dar und Oswald Henke mimte Anton Henkler. Die Protagonisten verbindet eine Leidenschaft: das Morden. Beide sitzen getrennt voneinander im gleichen Gefängnis. Als professionelle Kenner des Fachs schätzen sie die „Arbeit“ des jeweils anderen hoch ein. Die Massenmörder schreiben sich Briefe, die in Büchern der Gefängnisausleihe an den jeweiligen Adressaten übermittelt werden. Der erste Teil der Lesung bestand aus einer Unmenge fabrizierter Leichen, deren „Erzeugung“ geschildert wurde. Die sich ergebenden Abgründe waren tief. Und doch waren die Formulierungen so genial, schwarz und humorig, dass diese Abgründe nur als Fiktion erschienen. Wiederholt brachen die Zuhörer in schallendes Gelächter aus. Zu absurd waren Motivation und Gedankengänge der beiden Inhaftierten…
Im zweiten Teil der Lesung, der nach einer kurzen Pause startete, wechselten sich die beiden Künstler auf der Bühne ab. Den Beginn machte Christian von Aster mit gewohnt düsterem Witz, bei dem einem das Lachen auch schon einmal im Halse stecken bleiben kann. Extra für die Wagnerstadt Bayreuth hatte er die erste Geschichte ausgewählt: „Contradesquamat – Wie Adolf Hitler das Leben Ahmet Üngürs von Grund auf änderte“. Muss man mehr sagen? Eine groteske Kurzgeschichte, wie sie nur aus der Feder Christian von Asters stammen kann. Die eine oder andere Träne wurde verdrückt. Selbstverständlich aufgrund hemmungsloser Lachattacken.
Fortgesetzt wurde der Abend durch ein bisschen „schwarze Kaffeefahrt“ (Originalton Herr von Aster). Oswald Henke hat eine spitzbübische Freude daran, in Geschäften nach Absurditäten zu suchen. Diesmal passend zu Bayreuth u.a. eine Einkaufstasche, welche Musik von Richard Wagner spielt. Oswald Henke findet auch Lutscher, die im Dunkeln leuchten. Diese und andere „Kostbarkeiten“ präsentierte er mit diebischer Begeisterung und unschuldsvoll-teuflischen Grinsen. Kindlich und böse zugleich. Apropos Kind: Oswald Henke las danach aus seinem Ratgeber für Kindererziehung. Man kann sich vielleicht vorstellen, welche Richtung hier eingeschlagen wurde. Böse, böse, böse – dieser Herr Henke. Ob der eine oder andere Ratschlag auf offene Ohren gestoßen sein mag?
Ein herrliches Stück Wortakrobatik lieferte Christian von Aster zum Abschluss seines Parts. Fast schon traditionell bietet er jedes Jahr zum Wave-Gotik-Treffen eine Grufti-Glosse dar. Dem zum großen Teil schwarzgewandeten Bayreuther Publikum wurde diese nicht vorenthalten. Es soll ja Gruftis geben, die nicht über sich lachen können. Nicht so die Anwesenden, die Selbstironie bewiesen und sich hemmungslos über die astersche Erzählung amüsierten.
Anschließend erlosch die Bühnenbeleuchtung. Einzig einige rot leuchtende Kerzen sorgten für etwas Licht. Und für eine passende Atmosphäre. Oswald Henke brach nun mit dem Tenor des heiteren Abends und las Morbides und Verstörendes.
Wanderten im Waisenhaus
In jedem Bett ein totes Kind
Keine Schreie
Keine Körper toben
Nur totes Fleisch
Wie es stinkt“(Epilog)
Es folgten weitere unter die Haut gehende Texte wie „Rote Irrlichter“ oder „Stadt der Träume“. Es gibt auch Abgründe, denen sich eine humoristische Darstellung weitestgehend verschließt.
Zum Schluss berichteten die beiden Autoren von einer gemeinsamen Lesung in Karlsruhe, bei der man sich spontan entschloss, jeweils einen Text des anderen vorzutragen. Die Vielzahl der Fremdwörter im asterschen Text brachten Henke zur Verzweiflung. Von Aster hingegen hatte so seine Probleme, dem Text von Henke den nötigen Pathos zu verleihen. Eine Vorstellungen, die nochmals ein Grinsen auf die Gesichter der Anwesenden zauberte. Sind doch beide so gänzlich unterschiedlich in ihrer Ausdrucksweise.
Es war ein aufregender und schöner Abend. Leider finden sich Künstler zu solchen Sternstunden viel zu selten in der erreichbaren Umgebung ein.
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