Berlin – ein Konglomerat aus Dörfern, Kleinstädten, Mietskasernen, Plattenbauten und einer Glas-Beton-City. Rundherum Wälder, dazwischen Parks und zahlreiche Friedhöfe. Beim Durchstreifen dieser Begräbnisstätten gibt es zwischen dem geschäftigen Treiben der gießkannenschwenkenden Besucher wiederholt Überraschendes, Erstaunliches und auch Seltsames zu entdecken. Interessante Denkmäler, schöne Skulpturen, phantasievoller Grabschmuck und die leuchtenden Farben der frischen Blumen.
Anders muten jüdische Friedhöfe an. In der Hauptstadt gibt es derer vier, von denen zwei seit Kriegsende geschlossen sind. Beisetzungen finden noch auf dem Waldfriedhof in der Heerstraße und in Weißensee statt. Bei einem Ausflug sollte man bedenken, dass jüdische Friedhöfe samstags für gewöhnlich geschlossen sind. Im jüdischen Glauben ist der Sabbat (Freitag- bis Samstagabend von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang) ein Ruhetag, an dem nicht gearbeitet werden darf. Ebenfalls sollten männliche Besucher nicht vergessen, ihr Haupt zu bedecken. Das muss nicht mit der traditionellen Kippa geschehen – eine Wollmütze beispielsweise ist ausreichend.
Zum Gedenken an die jüdischen Opfer in den vielen Konzentrationslagern wurde im Eingangsbereich ein schlichtes Rondell angelegt. Ein paar Minuten des Nachdenkens erinnern an die dunkle Geschichte dieses Landes.
Der Jüdische Friedhof in Weißensee ist alt und präsentiert sich in gewisser Weise dunkel. Und er hat große Ausmaße. Die Bäume sind riesig. Besucher hingegen eher seltener – was auch der Jahreszeit und dem nicht wirklich einladenden Temperaturen geschuldet sein könnte. Viele der einfacheren Gräber der großen Abteilungen sind eingebettet in Strauchwerk und Efeu. So mancher Stein stützt sich schräg an einen Baumstamm. Auch die größeren Grabstätten am Rand der breiten Wege und an der Friedhofsmauer sind oft verwahrlost und sich selbst überlassen. Anderes wurde und wird hergerichtet, befestigt, die Inschriften wieder sichtbar gemacht. Zäune in filigraner Schmiedearbeit zieren dann die letzte Ruhestätte. Die eigentlich aus dem Glauben vorgeschriebene Bescheidenheit bei der Gestaltung scheint teils stark beeinflusst durch die Berliner Prunksucht vergangener Zeiten. So ging diese auch nicht an der Lebens- und Sterbeweise der jüdischen Gemeinde vorbei. Zwar sind Darstellungen von Tieren eine Seltenheit – Abbildungen von Menschen sucht man vergeblich, dafür stößt man wiederholt auf klassizistische Säulen, Tempel, Treppchen, Marmortafeln, steinerne Ranken, Blumen und Ornamente. „Eckgrundstücke“ protzen mit besonderen Details. Und manchmal ist man von der farblichen Restaurierung größerer „Anwesen“ geschockt. Und das nicht vom Standpunkt jüdischer Demut im Angesicht des Todes aus, sondern vollkommen unreligiös und rein ästhetischen Grundsätzen unterworfen.
Die Inschriften der Tafeln weisen auf große Familien, Wissenschaftler, Künstler, Mediziner hin – die Geistesgrößen dieser Stadt. Oder Unternehmer, welche den Reichtum und den Fortschritt diese Metropole begründeten. Einen Teil der Geschichte Berlins lässt sich hier nachlesen.
Trotzdem trifft man auch hier auf eine etwas andere Weltsicht. Gelegentlich sind die Geburts- und Sterbedaten in verschiedenen Zeitrechnungen angegeben. Nach der uns bekannten nach dem gregorianischen Kalender und nach der jüdischen Messung, die sich auf die Erschaffung der Welt bezieht (laut jüdischem Glauben 3761 v. Chr.). So weist beispielsweise ein Grabstein auf dem Friedhof in Weißensee die folgenden beiden Sterbedaten aus: 25. Juni 1883 und 20. Sivan 5643.
Lange kann man durch die von himmelwärts strebenden Bäumen bedachten, breiten Wege wandeln. Das Zerfallene teils grün überwuchert oder von Laub verdeckt. Alte Holzbänke erscheinen wenig vertrauenswürdig und laden nicht zum Verweilen ein. Schmale Pfade kaum von den Grabstätten zu unterscheiden. Grauer Stein, dunkler Efeu. Keine leuchtenden Blumen in Vasen, keine blühenden Pflanzen auf Grabhügeln. Eine stille, erhabene Finsternis liegt auf allem. Eine Schwere und Ernsthaftigkeit, die den einsamen Besucher festhält.
2 Comments
Scheint so, als gehen einem und Dir in Berlin die Friedhöfe niemals aus 😉 – ach, wenn ich doch nur mal für länger in der Hauptstadt weilte!
Du bist unheimlich gut darin, die Melancholie von Friedhöfen in Deinen Bildern einzufangen. Die Details geben allem dann noch den letzten Schliff. Wirklich toll.
„Und manchmal ist man von der farblichen Restaurierung größerer „Anwesen“ geschockt. Und das nicht vom Standpunkt jüdischer Demut im Angesicht des Todes aus, sondern vollkommen unreligiös und rein ästhetischen Grundsätzen unterworfen.“
Dafür hätten wir jetzt mal ein Farbfoto gebraucht. 🙂 Oder vielleicht auch besser nicht? Ich vermute, Du meinst grelle Farben, die den Tod vertreiben sollen…? Obwohl das so unnütz ist.
Ja, man hat den Eindruck, dass Berlin mehr (interessante) Friedhöfe hat als jede andere Großstadt. Aber im Vergleich zu beispielsweise Hamburg oder Mailand hat Berlin nicht DEN Friedhof. Ein längeres Verweilen in der Hauptstadt kann ich nur empfehlen. Schließlich sind die Berliner auch mit vielen subkulturellen Veranstaltungen gesegnet. Zumindest im Vergleich zu meiner Heimat.
Danke für das Kompliment. So etwas lese ich sehr gerne 🙂
Ich glaube nicht, dass der Tod durch schrille Farben vertrieben werden soll. Ob die ursprüngliche Version des Grabmals ebenfalls diese Buntheit aufwies, vermag ich nicht zu sagen. Zumindest nach der Restauration erscheinen mir die Schmiedearbeiten von Ranken und Blüten zwischen all der monochromen Farblosigkeit als überaus störend. Und unnatürlich. Mein Drang diese schreckliche Farbigkeit abzulichten hielt sich somit sehr in Grenzen. Mit einem Bild kann ich – man mag es mir verzeihen – nicht dienen.