Zieht man Wikipedia zu Rate, erhält man für den Titel „Moloch“, dem neuen Album der schweizer Band „Metallspürhunde“, diverse Ergebnisse: Unter anderem wird Moloch als „die biblische Bezeichnung für phönizische-kanaanäische Opferriten, die nach der biblischen Überlieferung die Opferung von Kindern durch Feuer vorsahen“ erklärt. Nicht weniger interessant ist die Ableitung einer „gnadenlosen, alles verschlingenden Gegebenheit, im übertragenen Sinne häufig eine Metropole“. Dies deckt sich perfekt mit dem Artwork des Covers, welches monochrom-dunkel einen Schlund zeigt, deren Zähne die Skyline einer Stadt mit diversen Hochhäusern zeigt. Dazu passend auch der Satz, welcher nach Aufklappen des in limitierter Auflage erhältlichen Digipaks zu lesen ist: „Wir stürzen hinein und sind betäubt. Ihr habt uns sanft euch einverleibt.“
Der lange Text auf der gegenüberliegenden Seite stimmt nachdenklich, führt er doch das oft kranke Verhalten der Menschheit vor Augen:
Und sei das Schauspiel auch noch so abscheulich, unser Blick wendet sich nicht ab. Gebannt schauen wir hin und entsetzen uns geradezu enthusiastisch. Es fühlt sich auf grausige Weise gut an: denn es ist nicht unser Blut, das fließt, nicht unser Schmerz und nicht unser Tod (…)“
Unweigerlich muss ich an tagesaktuelle Geschehnisse denken. In Japan zählt man in Folge eines verheerenden Erdbebens und Tsunamis Tausende Tote. Gebannt schaut die Welt Richtung Fukushima – in Erwartung eines Super-GAUs. Nachrichtensendungen unterlegen Bilder von zerstörten Häusern, verwüsteten Landstrichen, verzweifelnden Menschen und explodierenden Atomreaktoren mit sanfter Musik. Man trägt Trauerflor. Haiti ist vergessen. Pakistan aus den Köpfen verschwunden. Hungerkatastrophen in Afrika alltäglich und somit keine Nachricht und keine Tränen wert.
Auch der letzte Titel des Albums – „Kränze“ – thematisiert diese Heuchelei mit vor Ort berichtenden Fernsehteams, dem Spekulieren über Opferzahlen, Prozessionen und „feierliche Andacht inszeniert in Bild und Ton“. Es folgen angestrengte Trauermienen, Sonderreportagen, 3D-Rekonstruktionen der Ereignisse, Enthüllungen von Denkmälern: „Der Tod ist telegen“. Passend dazu die Untermalung mit kirchlichen Orgelklängen.
Es ist fast schon beängstigend, wie aktuell diese Texte sind. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ich das erste Stück „Alarm“ hörte:
Achtung Achtung Störfall,
die Zeit rennt uns davon,
das ist die Ausnahme von der Regel,
der unwahrscheinliche Fall, (…)
du kannst hier nicht mehr tun“
Die Texte spiegeln eine teils kaputte Gesellschaft wider. Die „Metallspürhunde“ liefern Denkanstösse. Ob diese eine Veränderung in den Denkstrukturen der Hörer auslösen können, ist sicherlich fraglich. Die Menschheit scheint am Abgrund zu stehen. Der Moloch lauert nur auf den richtigen Augenblick, um sich alles einzuverleiben. Die Schweizer malen ein ausgesprochen düsteres Bild. Leider ist dieses Bild nichts phantastisches, sondern absolut real.
Manöver in einem fremden Land,
weitab der Heimat,
Scheitern ist keine Option,
nur Sieg oder Tod (…)“
Die deutsche Bundeswehr scheint in Afghanistan schon längst auf verlorenem Posten zu kämpfen. Das Scheitern dieser „Mission“ – der Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch (ob nun wirtschaftlicher Natur lasse ich mal dahingestellt) – wird aber nicht eingestanden. „Sieg oder Tod“ – wie wahr. Wobei es scheinbar keine Wahl gibt. Ein Sieg ist momentan wohl keine realistische Option. Bleibt nur der Tod…
Die Texte dürften so einigen Hörer aus dem Herzen sprechen:
…derer denen wir vertrauten,
sie erzählen uns vom Himmel,
doch der Himmel ist weit weg von hier,
und sie drohen uns mit der Hölle,
doch die Hölle ist schon lange hier.“
Ich habe schon lange kein deutschsprachiges Album in Händen gehalten, dessen Worte mich so angesprochen haben und über welche sich das intensive Nachdenken entsprechend gelohnt hätte. „Moloch“ – dreizehn Stücke voller Intensität. Voller unbequemer Wahrheiten. Verpackt in eine musikalische Mixtur aus synthetischen und handgemachten Klängen. Irgendwo zwischen Industrial Metal und Electro Pop. Schwerlich in Schubladen zu stecken. Mal hört man harte Gitarrenriffs, dann wieder sanfte Keyboardmelodien. Die „Metallspürhunde“ haben sich weiter entwickelt. Wut und Enttäuschung müssen nicht zwangsläufig in die Welt hinausgeschrieen werden. Resignation? Ich denke nicht. Die beiden Köpfe der Band – Michel Frasse und Marion Altwegg – mit Unterstützung von Sebastian Hausmann haben etwas mitzuteilen. Sie haben eine Meinung. Der eine oder andere Text lässt aber durchaus Interpretationsspielräume. Auch Marion Altwegg wagt sich wiederholt ans Mikro, was durchaus für eine abwechslungsreiche Note sorgt. „Moloch“ ist ein Album, welches man keineswegs beim ersten Hördurchgang erfasst. Man muss sich Zeit nehmen. Musik und Texte wirken lassen. Als schwere Kost würde ich das Ganze aber auf keinen Fall bezeichnen. Die Musik ist absolut zugänglich und diverse Male auch tanzbar. Während ich schreibe und die einzelnen Songs aus den Lautsprechern den Weg in meinen Gehörgang finden, fangen die Beine unweigerlich das rhythmische Wippen an. Der Kopf nickt.
Einen Titel – „Gespenster“ – möchte ich noch herausheben. Dieser hat mich von Beginn an gefesselt. Die Gründe hierfür ließen sich bisher nur schwer erschließen. Der Song ist überaus eingängig. Der Refrain setzt sich im Kopf fest und lässt sich vielfältig auslegen:
…denn eure Türme sind zerstört,
die Paläste abgebrannt,
eure Tempel sind entweiht,
all die Träume sind verblasst,
sind nur Gespenster an der Wand…“
Mir gefällt das Album – ohne wenn und aber.
Die limitierte Version im Pappschuber enthält eine weitere CD mit elf Remixen älterer Songs wie „Blut & Spiele“ und „Obszöne Neue Welt“. Das Album erscheint am 08. April 2011.
www.mshunde.ch
www.myspace.com/metallspuerhunde
Pressebild von Annie Bertram.
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