Das Licht des leuchtenden Vollmondes erhellte die Grabstellen. Gelegentlich schoben sich dunkle Wolkenfetzen vor den weißen Himmelskörper. Am Rande zeichnete sich die Silhouette eines Kreuzes ab. Der furchteinflössende Schatten einer hageren, kahlköpfigen Gestalt huschte über die Leinwand. Neben dem geheimnisvollen Rascheln der Bäume und dem furchteinflössenden Knistern in der Dunkelheit war nur leise Klaviermusik, die zusätzlich für Gänsehaut sorgte, zu hören. Die steinernen Augen der Büste Friedrich Wilhelm Murnaus beobachteten von seinem Grab aus die Vorstellung…
So oder so ähnlich könnte sich die Szenerie eines Nachts im Sommer 2003 abgespielt haben, als auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf im Rahmen einer „Friedhofsnacht“ ganz in der Nähe der Grabstätte des Stummfilmregisseurs der Klassiker „Nosferatu – eine Symphony des Grauens“ aufgeführt wurde.
Wild und märchenhaft präsentiert sich dieser weitläufige Friedhof vor den Toren Berlins. Geplant als Zentralfriedhof, weil innerstädtische Friedhöfe zu klein wurden. Auf schmalen Waldwegen taucht der Besucher abseits der lichten Hauptachsen in die Schatten hoher Bäume ein. Vorbei an sehenswerten Mausoleen, Grabwänden und Skulpturen. Scheinbar lebendige Gesichter blicken von ihren Sockel herab. Unter Moos versteckte Grabplatten. Aus dem Dickicht taucht ein zutrauliches Eichhörnchen auf, das um Nahrung bettelt. Die Stille und Menschenleere genießend ist die Zeit schnell vergessen und die Orientierung verloren. Eine außergewöhnliche Synthese aus unberührter Natur, strukturierter Landschaft und den unterschiedlichsten Begräbnisstätten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Eine traumwandlerische Entdeckungsreise zwischen Anmut und Verfall. Liebevoll restaurierte Grabstellen und bröckelnder Stein. Eine hölzerne Friedhofskapelle – zentral platziert – erinnert an norwegische Stabkirchen.
Mit 206 Hektar ist der 1909 angelegte Südwestkirchhof Stahnsdorf der zweitgrößte Begräbnisplatz Deutschlands. Einzig der imposante Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist größer. Für die damalige Zeit ungewöhnlich: Der Friedhof hatte einen eigenen S-Bahn-Anschluss. Im Volksmund wurde die Verbindung zwischen Wannsee und Stahnsdorf Leichen- oder Witwenbahn genannt.
Zu DDR-Zeiten verlor der Friedhof an Bedeutung. 1961 – mit dem Bau der Mauer – wurde der S-Bahn-Verkehr eingestellt. So verfielen Gräber und Bäume wuchsen ungehindert in den Himmel. In aller Abgeschiedenheit entstand ein einzigartiges ökologisches Refugium aus 600 Tier- und Pflanzenarten. Mittlerweile ist die Isolation Geschichte. Manches wurde freigelegt, doch der Charme des Wildwuchses wurde an vielen Stellen glücklicherweise beibehalten.
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4 Kommentare
Oh, da war jemand beim Herrn Murnau – super und sehr interessant. Das wäre 2003 mal eine Friedhofsnacht ganz nach meinem Geschmack gewesen, aber leider… war Edith vielleicht live dabei?
Der Stahnsdorfer ist der zweitgrößte Friedhof Deutschlands. Das muss ich mir merken für die nächsten Insider-Grufti-Gespräche 😉
Und es gilt wie immer: hervorzaubernde Bilder!
@Shan Dark: Nein, leider konnte mir die Friedhofsnacht nicht aus erster Hand geschildert werden. Und bedauerlicherweise kam es bisher auch zu keiner Wiederholung. Ob es hier letztendlich zu viele konservative Gegenstimmen gab?
Horror-Kino auf dem Friedhof? Finde ich gut, muß aber noch ein wenig warten bei mir regnet es gerade Klaviere.
[…] und so manche Goth-Band lässt er in Worten und bezaubernden Bildern auf seinem Blog aus. Lesetipp: Südwestkirchhof Stahnsdorf – charmanter Wildwuchs (auf diesem Friedhof liegt F.W. […]