Für diesen Namen, diese Ortsbezeichnung, gibt es nur eine Assoziation: Krieg. Und dessen Gräuel. Um Verdun tobten mehr als einmal Schlachten, doch vor allem die Bilder des letztendlich in seiner Gänze unvorstellbaren Stellungskampfs während des 1. Weltkriegs tauchen vor dem geistigen Auge auf. Allein in und um Verdun forderte dieser Krieg Hunderttausende Opfer.
Verdun – heute befindet sich hier ein imposanter, lang gestreckter Bau mit einem Turm von durchaus phallischer Symbolik. Mit einem riesigen Parkplatz scheint man auch für größere Besucherströme gerüstet zu sein. Die Flächen um das Gebäude werden momentan „renoviert“ – weiße Kreuze liegen fein säuberlich gestapelt und verpackt am Rand, der Boden ist aufgerissen. Nur noch ein kleiner Teil lässt die Masse an in Reih und Glied stehenden Kreuzen erahnen. Zum Jubiläumsjahr 2016 (1916 war die größte Schlacht an dieser Stelle) soll die Gedenkstätte ein geschöntes Bild geben. Dieses riesenhafte Totenfeld, mit teilweise noch vorhandenen Grabkreuzen, dazwischen Baufahrzeuge und zusammen geschobene Haufen schwarzbrauner Erde – ein seltsamer, berührender und trauriger Anblick.
Im Inneren des Gebäudes erzählen Namen, Bilder und Texte in einem langen Raum von den Kriegen und deren Opfer. Doch auch nach einer gewissen Verinnerlichung lassen sich Grauen und Ungeheuerlichkeiten nur ansatzweise greifen. Und vielleicht ist dies sogar gut so. Ansonsten könnte man womöglich daran zerbrechen. Fotografieren ist hier untersagt. Im Gegensatz zu manch anderem Gast halte ich mich an diese Vorschrift. Ein paar Monteure bugsieren lange Leitern und werkeln herum. Auch das Gebäude soll „schick“ gemacht werden.
Beim Aufstieg in den Turm über eine bedrückend enge und dunkle Treppe durchquert man auf den einzelnen Zwischenabsätzen historisch getreu gestaltete kleine Ausstellungen mit Kriegs-Accessoires, die so fremd und fast harmlos anmuten. Der Vorstellungskraft will es nicht gelingen, sich den Wahnsinn auszumalen. Krieg? Monatelang im Dreck liegen? Um eine Handbreit Boden zu verteidigen, krepierten die Soldaten in den Stacheldrahtverhauen zwischen den Fronten. Es will nicht in den Kopf.
Oben angekommen erhält man eine kleine Vorstellung, wie groß das Gebiet ist. Und andererseits: wie klein es ist.
Im Foyer hingegen tobt die Andenkenschlacht. Bücher in vielen Sprachen und Bildern zur Geschichte der Kriege füllen ein Regale. Dieses Angebot mag noch als geschichtliche Aufarbeitung verstanden werden. An anderer Stelle findet man jedoch bemalte Teller und Vasen. Modelle von Geschützen, Kanonen, Gewehren und sonstige kriegsverherrlichende Devotionalien widern mich an. Der Sinn hinter diesen Geschmacklosigkeiten will sich mir nicht erschließen. Sollte hier, gerade hier, nicht gegen solch verharmlosende Darstellung des Krieges angegangen werden? Sollte man hier nicht auf eine Heroisierung verzichten?
Noch einmal umkreise ich das teilweise eingerüstete Gebäude. Der Stein ist an manchen Stellen dunkel verfärbt, an anderen erstellt er in heller Farbe. Kleine, tief angebrachte, quadratische Fenster machen neugierig. Der Blick hindurch offenbart gewissermaßen das, was bleibt: Wild aufgehäufte bleiche Knochen und Schädel. Die Toten des Krieges.
Unfassbar ist auch der Eindruck der Umgebung. Verdun – ein ländliches Gebiet mit kleinen Dörfern. Damals. Die Dörfer wurden während des 1. Weltkriegs ausgelöscht. Komplett. Das von Kratern zerpflügte Land ist heute von lichtem Wald bedeckt. Gepflegte Wege führen an kleinen, im Boden steckenden Schildern vorbei, die über die Vergangenheit informieren. Hier war einmal eine Bäckerei, da ein Bauernhof. Die Orte wurden nicht wieder aufgebaut. Das ist mehr Mahnung, als dieser Andenkentrödel.
3 Comments
Lieber Marcus, wir sind gerade bei der Jahresplanung. Lohnt sich das Beinhaus für einen Extra-Trip? Oder sollte man es nur machen, wenn es auf der STrecke liegt?
Liebe Grusels
Shan
Eine schwierige Frage, die ich nicht eindeutig zu beantworten vermag. Bei meinem Besuch waren ja diverse Arbeiten im Gange. So fand ich Teile des imposanten Bauwerks, das mich besonders interessiert hatte, eingerüstet vor. Die zahlreichen, neben den Grabfeldern liegenden Kreuze waren ebenso wenig ein „schöner“ Anblick. Wobei es an einem solchen Ort natürlich schwer ist, von „Schönheit“ zu sprechen. Es sollte ein nachdenklicher Ort sein. Und das war er damals durchaus. Allerdings in keiner Weise so atmosphärisch wie beispielsweise die Beinhäuser in Kutna Hora, Brno oder Mailand. In Verdun steht das Gedenken an den Krieg und deren Opfer an erster Stelle. Wobei: Wenn man die „Souvenirflut“ im Foyer des Gebäudes betrachtet, kann man seine argen Zweifel bekommen. Es ist ein besonderer Ort, den man auf einer Rundreise einplanen sollte. Ich könnte mir vorstellen, dass die wiederhergestellten Grabfelder und das restaurierte Gebäude im Hintergrund ein durchaus beeindruckender Anblick sind. Auf eine längere Reise würde ich mich nur wegen des Beinhauses von Douaumont allerdings nicht begeben.
DANKE Dir für die gute, ausführliche Antwort. Wir hatten überlegt unterwegs zum Rosa Crux Festival (5./6. Aug) und nach Rouen „untenrum“ zu fahren und zuerst Verdun, dann Rouen, dann Thoix zu besuchen. Aber irgendwie ist Verdun diesen Umweg wohl doch nicht wert. Kriegsgräbergedenkstätte hin oder her, ich glaube, wir würden die morbide Atmo arg vermissen. Aber wenn es mal mehr auf der Strecke liegt, dann schauen wir uns das an.