Der Wind streicht über die trockenen schmalen Ähren hoher, im Sonnenlicht leuchtender Gräser. Jahrzehntelang von schweren Militärfahrzeugen belastete Wege geben sich den Kräften der Natur geschlagen. Die Wurzeln großer Bäume drücken von unten gegen die Betondecke. In Form von Rissen und Wülsten offenbart sich die Stärke dieser Pflanzen. Ein grüner Moosteppich überzieht wüste Asphaltflächen. Lebendig präsentiert sich die zauberhafte Welt vergessener Orte. Eine wilde Natur hat das ehemalige Kasernengelände in Wünsdorf in Besitz genommen.
Dazwischen befinden sich die Reste einer kleinen Stadt. Krankenhaus, Sport- und Schwimmhalle, Theater, Gebäude mit Wohn- und Schlafstätten. Offenstehende Eingangstüren flüstern und fordern: „Tritt ein!“ Die Gebäude wollen erkundet werden. Die Fenster der unteren Etagen sind oftmals mit Brettern vernagelt. Diffus ist das einfallende Licht. Schatten hocken scheinbar lauernd in den Ecken. Der Fuß ertastet sich vorsichtig einen stolperfreien Weg. Ein paar Stufen höher kitzeln die Strahlen der Sonne hunderte Details hervor. Alte Zeitungen, kyrillische Buchstaben, verstaubte Kleidungsstücke unbestimmter Farbe, Wandgestelle für Stiefel, Waschräume mit Spiegeln aus Metall, hier und da weitere kleine Gegenstände. Toiletten, die beispielsweise aus französischen Reiseerfahrungen bekannt und aufgrund der wenig vorhandenen „Bequemlichkeit“ berüchtigt sind. Mancher Fußboden lässt erahnen, wie hier ehemals Betten angeordnet waren. Gelegentlich fällt der Blick auf den Versuch einer individuellen Wandverschönerung. Ansonsten herrscht triste Gleichförmigkeit bis zu den oberen Geschossen.
Sehr gut erhalten präsentiert sich das kulturelle Zentrum. Zu verdanken den hochfliegenden Träumen vormaliger brandenburgischer Regierungen. Strom ist trotz jahrelangem Leerstand vorhanden und so verleiht die Beleuchtung den innenliegenden Wandelgängen einen Hauch von Normalität. Doch die Stille ist fast gespenstisch. Noch vollständige Stuhlreihen, bestehend aus mit weinrotem Plüsch bezogenen Klappsesseln, scheinen nur auf den nächsten „Gong“ zu warten, um sich mit Publikum zu füllen. Der Schnürboden liegt auf der Bühne, der Kulissen beraubt. Fremdartig wirken die Gedanken an vergangene Zeiten und an das Publikum, das an dieser Stelle gefeiert, gestaunt und applaudiert hat. Früher gab es Konzerte und Theater. Nun nur noch Agonie. Was wird aus diesem Saal werden?
Das leere Schwimmbecken wartet nur darauf, mit Wasser gefüllt zu werden. Aber von den Startblöcken hat sich schon seit vielen Jahren kein Schwimmer mehr ins Nass gestürzt. Ich frage mich, ob diese Gebäude jemals wieder mit Leben gefüllt werden. Oder ob irgendwann alle Dächer der Last des Schnees, der Regens und der Windes nachgeben mögen und sich die Natur das komplette Territorium zurückerobert haben wird…
Bereits vor dem 1. Weltkrieg entstanden in Wünsdorf Kasernenanlagen, Fernsprech- und Telegrafenamt, Infanterieschule. In der Folge hatte die Reichswehr hier ihren Sitz. Die Kaiserliche Turnanstalt wurde zur Heeressportschule. Diverse Ergänzungen und Erweiterungen ergaben
letztendlich ein riesiges Areal. Sogar Kriegsgefangene wurden an dieser Stelle untergebracht. Am 20. April 1945 übernahmen sowjetische Truppen fast kampflos das militärische Gelände. Fast ein halbes Jahrhundert später hinterließen sie eine menschenleere Garnisonsstadt voller Munitionsreste, Kampfmittel, Schrott und Müll.In einigen Stabsgebäuden siedelte man nach einer Restaurierung Landesbehörden an. Eine Reihe Kasernenbauten wurden zu Wohnhäusern umgebaut. Hinzu kamen Einfamilienhäuser und Infrastruktur. Das hört sich gewaltig an – doch noch immer ist ein unglaublich großes Gelände mit verwilderten Parkanlagen und Baumbeständen, mit unzähligen Gebäuden in teilweise zerfallenem Zustand vorhanden.“
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[…] Kaserne Wünsdorf – Schatten auf der Flucht | Gedankensplitter hinter Glas Es kommt mir ja fast schon komisch vor, wenn ich in jeder Wochenschau eine Erkundungstour von Marcus Rietzsch vorstelle, doch wenn ich wirklich darstellen möchte was ich in der letzten Zeit geschmökert und fasziniert angeschaut habe, komme ich nicht umher ihn und seine Touren erneut zu zeigen: “Der Wind streicht über die trockenen schmalen Ähren hoher, im Sonnenlicht leuchtender Gräser. Jahrzehntelang von schweren Militärfahrzeugen belastete Wege geben sich den Kräften der Natur geschlagen. Die Wurzeln großer Bäume drücken von unten gegen die Betondecke. In Form von Rissen und Wülsten offenbart sich die Stärke dieser Pflanzen. Ein grüner Moosteppich überzieht wüste Asphaltflächen. Lebendig präsentiert sich die zauberhafte Welt vergessener Orte. Eine wilde Natur hat das ehemalige Kasernengelände in Wünsdorf in Besitz genommen.“ […]