Viele Jahrzehnte war der Johannisfriedhof der größte Begräbnisplatz Dresdens, bis 1936 der Heidefriedhof mit einer über doppelt so großen Fläche eingeweiht wurde. Doch anders als dieser „junge“ und schlichte Gottesacker bieten die zahlreichen Wege und Reihen des Johannisfriedhofs unglaublich viele interessante Anblicke. Mein Streifzug beginnt an der monumentalen Trauerhalle – erbaut im Jahre 1894. Im Zentrum des beeindruckenden Gebäudekomplexes ragt das Kreuz eines Kuppeldachs gen Himmel. Italienische Friedhöfe dienten dem Architekten als Inspiration.
Es folgt ein Aufmarsch an Ansehnlichen, Aufregenden, Besonderen. Mein Blick schweift über das Gelände. Die Entscheidung, welchen Weg ich einschlage, fällt schwer. Doch letztendlich ist dies unbedeutend. Überall scheint Sehenswertes auf mich zu warten.
Ernste Gesichter blicken mich auf meiner Erkundungsreise an. Aber nicht nur die Antlitze von Engeln oder Jesus-Darstellungen fallen durch ein – scheinbar – unnachgiebiges Mienenspiel auf. So haben auch andere Skulpturen – wie ein Greis mit wallendem Bart – etwas Strenges. Und doch war die Versuchung groß, dem alten Mann über den Bart zu streichen.
Als scheinbarer Gegenpol zu dieser Ernsthaftigkeit lockt die holde Weiblichkeit. Mit und ohne Flügel. Lasziv, herausfordernd und alles andere als trauernd. Anmutige Damen verführen den Betrachter mit ihren Reizen. Diese Darstellungen voller Nacktheit erstaunen mich immer wieder. Auf den Friedhöfen wurden die Künstler früherer Epochen weder von der Kirche noch von den Auftraggebern eingeschränkt.
Daneben fallen emotionale Abbildungen auf. Der Blick einer Frau führt zu dem über ihr angebrachten Konterfei des Verstorbenen. Eine Hand schlägt sie vor den Mund. Ist es Erstaunen? Oder möchte sie dem Geliebten noch einen Handkuss hinterher schicken? Eine zweite Dame zeigt ihre Trauer ganz offen und vergräbt ihr Gesicht tief in den Händen.
Ein Posaunenengel des Jüngsten Gerichts – das Instrument ruht auf dem Schoss – zieht ein großes Tuch über sein Haupt und verbirgt so sein Gesicht im Schatten. Eine Art Trauergestus. Der Blick mag unnachgiebig sein. Wird er demnächst zur göttlichen Apokalypse blasen?
Was der einsame steinerne Hut auf einer Grabstelle bedeutet, bleibt mir allerdings verborgen. Bei einem schon ziemlich verwitterten Helm mit kleinen Flügeln kann man sich die Bedeutung zumindest denken. Auch die Seelen der Soldaten machen sich auf den Weg ins Himmelreich – jedenfalls hoffen das die Hinterbliebenen. (mehr …)